Rote-Liedermappe-Gruppe Anhausen (Kirchenkreis Wied)

Jugendliche und junge Erwachsene aus der Kirchengemeinde Anhausen singen einmal im Monat im Gottesdienst zusammen mit den übrigen Gemeindemitgliedern  zeitgenössische geistliche Lieder, in denen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu Hause und angesprochen fühlen.

Die übrige Gemeinde öffnet sich für die ihr bisher unbekannten Texte und Melodien, also für die Popularmusik. Die jungen Gemeindemitglieder fühlen sich hinsichtlich ihrer musikalischen Vorlieben von den älteren Gemeindemitgliedern wahr- und ernstgenommen. So öffnen sich junge und ältere Gemeindemitglieder füreinander: „Musik macht’s möglich!“

Andrea Blum, Leiterin der Gruppe und zugleich Mutter dreier junger Erwachsener Kinder, betont: „Wir sind kein Chor. Wir singen nicht für die Gemeinde. Wir sind eine Gruppe. Wir singen mit der Gemeinde.“

Entstanden ist die Gruppe vor fünf Jahren bei einem Jugendhearing, das in der Kirchengemeinde veranstaltet wurde. Jugendliche und junge Erwachsene wurden gefragt, wie sich die Kirchengemeinde ändern müsse, damit sie sich in derselben zu Hause fühlen.  Am Ende des Hearings gab es von Seiten der jungen Menschen ein halbes Dutzend Vorschläge. Einer der Vorschläge war, dass mehr zeitgenössische geistliche Lieder im Gottesdienst gesungen werden sollten.

Bereits einige Jahre zuvor war eine Liedermappe mit neueren geistlichen Liedern für den gottesdienstlichen Gebrauch zusammengestellt worden. Aus dieser Liedermappe, die einen roten Einband hat, wurde mehr oder weniger regelmäßig ein Lied im Gottesdienst gesungen.

Der Vorschlag am Ende des Hearings war: 1. Die Rote Liedermappe soll von nun an regelmäßig im Gottesdienst verwendet werden. 2. Zwei Lieder sollen pro Gottesdienst aus der Roten Liedermappe gesungen werden. 3. Die Rote Liedermappe soll durch zusätzliche zeitgenössische geistliche Lieder erweitert werden. 4. Eine Gruppe von jungen Menschen soll der Gemeinde diese Lieder im Gottesdienst nahebringen und mit ihr zusammen singen.

Zur Realisierung jedes der beim Hearing vorgebrachten Vorschläge wurden Arbeitsgruppen aus jungen Menschen und erfahrenen Gemeindemitgliedern gebildet. Letztere haben eine Patenfunktion.

… und plötzlich hieß die Gruppe, mit sich mit neuen Liedern für die Rote Liedermappe befasste, dann die „Rote-Liedermappe-Gruppe“. Der Gruppe gehören heute 20 Jugendliche und junge Erwachsene an. Dazu kommen vier ältere  Gemeindemitglieder, die Chorerfahrung haben und den Gesang unterstützen. Die instrumentale Begleitung erfolgt ausschließlich durch die jungen Menschen. Neben E-Piano und Cachon sind gelegentlich auch Gitarre und Geige vertreten.

Inzwischen ist es so, dass die der Gemeinde bekannten Lieder auch in Gottesdiensten gesungen werden, in denen die Rote-Liedermappe-Gruppe nicht agiert. Die nebenamtliche Kirchenmusikerin, die dem Projekt sehr aufgeschlossen gegenübersteht, begleitet die neuen Lieder dann auf dem E-Piano. Die Gruppe trifft sich einmal im Monat  zum Üben. Ausschließlich die Freude am Singen ist Zugangskriterium für die Gruppe. Neben dem Singen der Lieder werden die Texte derselben ausführlich besprochen. Dass die Mitglieder der Gruppe wirklich verstehen, was sie singen, ist der Leiterin ebenso wichtig wie das Einüben des gemeinsamen Gebetes.

Zeitweise wurden die Übungsstunden von einem Musiklehrer geleitet. Aber seit längerer Zeit liegt die Leitung nun schon bei der Andrea Blum, die über jahrelange Chorerfahrung verfügt, jedoch nicht über keine musikalische Ausbildung. Im Januar 2020 findet ein Lehrgang mit einer akademisch ausgebildeten Musikerin statt.

Gesungen wird zurzeit aus: Feiert Jesus! Liederbuch Fünf, Holzgerlingen 2017.  Die Auswahl der Lieder erfolgt durch die Gruppe oder durch die Leiterin. Die Gruppe hat sich darauf verständigt, keine englischsprachigen Lieder zu singen, da insbesondere viele der älteren Gottesdienstbesucher/innen die englische Sprache nicht beherrschen und so vom gemeinsamen Gesang ausgeschlossen wären.

Die Rote-Liedermappe-Gruppe beweist: „Musik macht‘s möglich!“  Im konkreten Fall macht es die Musik möglich, dass Jung und Alt in der Kirchengemeinde aufeinander zugehen, voneinander lernen, sich in die musikalische Welt des je-anderen begeben und miteinander Gottesdienst feiern. Es ist den jungen Menschen hoch anzurechnen, dass sie sich nicht mit der Feststellung begnügt haben, der überwiegende Teil der Lieder des Gesangbuches spreche sie heute nicht mehr an, da diese Lieder textlich und musikalisch nicht ihrer eigenen Kultur entsprechen – und dann dem als antiquiert empfundenen Gottesdienst einfach fernbleiben. Hier engagieren sich stattdessen junge Menschen, um in einen Dialog mit der älteren Generation zu treten. Gleichzeitig nehmen die  jungen Menschen die ihnen gebotene Gelegenheit wahr, Kirche nach ihren Vorstellungen mitzugestalten.

Indem die jungen Menschen aber auch am agendarischen Gottesdienst teilnehmen, wo natürlich die Orgel und i.d.R. vier Lieder aus dem Gesangbuch eine wichtige Rolle spielen, lassen sie sich auch auf die gottesdienstliche und musikalische Welt der Älteren ein.

Durch den Verzicht darauf, besondere Zielgruppengottesdienste / Jugendgottesdienste zu feiern, entsteht hier ein spannendes Miteinander von Jung und Alt. Spannend ist das Miteinander unter anderem auch, weil es nicht völlig frei von Konflikten ist: unterschiedliche musikalische Vorlieben begegnen einander. Das auszuhalten und darüber immer wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, ist eine nicht geringe Leistung. Zugleich ist es aber auch die große Chance, Gemeinde vor Ort als den einen Leib Christi zu leben.

Einen besonderen Beitrag leistet die Leiterin der Roten-Liedermappe-Gruppe. Sie hält die Gruppe zusammen und sorgt gemeinsam mit sechs weiteren Gruppenmitgliedern für die Organisation und geordnete Abläufe. Man muss bedenken, dass junge Menschen  im Alter zwischen 15 und 25 Jahren heute nicht besonders stetig sind: Schule oder Schulabschluss, Übergang ins Berufs- oder Studentenleben, Engagement in Sportvereinen, Zeit verbringen mit Freunden, feiern am Wochenende u.a.m. stehen in Konkurrenz zu Übungsstunden und Gottesdienstbesuchen. Nur mit einer zeitaufwändigen Pflege der persönlichen Beziehungen zu den jungen Menschen lässt sich eine solche Gruppe über Jahre zusammenhalten.

Kontakt:

Andreas Laengner